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“Von den heytten und fellen gerben”

Das Biberacher Gerberhandwerk von seiner ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1399 bis heute:

Eberhard Thurner nennt in seiner Abhandlung “Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte von Biberach an der Riss”, 1949 erschienen, einen Zinsbeschrieb von etwa 1280, in dem der Familienname “Wizlederar” auftaucht. Würde man von dem Namen “Weißlederer” auf den Beruf schließen, wäre dies die erste Nennung eines Weißgerbers für Biberach.

Thurner nennt weiterhin eine Urkunde vom 30. März 1399, in der er zwei Lohstöcke in seiner Mühle unterhalte, wogegen sich diese verpflichteten, ausschließlich in der Angermühle ihre Rinden zu mahlen. Hierbei handelt es sich um die erste urkundliche Erwähnung des Rotgerberhandwerks für die damalige Reichsstadt Biberach. Das Gerben, ob rot, weiß oder sämisch, hatte immer das gleiche Ziel, nämlich die Umwandlung tierischer Häute in Leder. Die Rot- oder Lohgerber verwendeten als Gerbmittel Rinde (Lohe) von Eichen oder Fichten aus den sogenannten Schälwäldern der Umgebung (häufig in Besitz des Biberacher Hospitals), um aus Rinderhäuten Sohl-, Geschirr- und Fahlleder zu machen. Die Weißgerber benutzten als Gerbmittel Alaun (ein Doppelsalz aus Kalium- und Aluminiumsulfat), um beispielsweise aus Ziegenhäuten Leder (Glace) für Handschuhe herzustellen. Die Sämischgerber schließlich, die dem Weißgerberhandwerk zugeordnet sind, verarbeiteten Hirschhäute mit dem Gerbmittel Fischtran zu Leder für Bekleidung.

Für alle Gerber war und ist der Rohstoff Wasser für die verschiedensten Arbeitsgänge unerlässlich. Deshalb lag auch das Biberacher Gerberviertel in der Senke des nordöstlichen Altstadtbereiches zwischen dem oberen und dem unteren Stadtbach. Die Häuser der Gerber reichten vom Alten Spital bis zum Ehinger Tor. Das Wassernutzungsrecht für die Stadtbäche wurde über den sogenannten Pfahlzins geregelt, der noch 1976 für zwei Pfähle zusammen 3,60 DM jährlich betragen hatte (an den Pfählen wurden die Häute zum Wässern in den Stadtbach gehängt). Zu Beginn des 18. Jahrhunderts lebten und arbeiteten hier 45 Gerbermeister, davon 22 Rot- und 23 Weißgerber. Die einstige Gerberstraße wurde später durch Abbruch der Kirche des Franziskanerinnenklosters und eines weiteren Hauses zum jetzigen Alten Postplatz ausgeweitet. Die Gerbergasse erinnert noch heute an dieses einstige Biberacher Handwerkerviertel.

Die überlieferte Zunftordnung der Rotgerber, die “Ordnung und Gesetz der Ledergerber zu Biberach von Neuem auszogen und überlesen Im 1575 Jar”, beschreibt zu Beginn eine Auseinandersetzung des Birkmüllers, Haintzen Ahegker” (die Birkmühle oder obere Mühle in Birkendorf wurde 1983 bis auf das Mühlrad abgerissen) mit den Biberacher Gerbern, die 1460 stattgefunden hatte. Die “Tädingsleut”, die damaligen Richter, entschieden unter anderem, dass “der Birkmüller künftig den Gerbern bei seiner Mühle, auf und von der Riss, Wasser, das ihnen zu einem Stampfrad zu dem Lohstock diene, geben und gehen lassen soll nach Bedarf, bei Tag und Nacht, zu allen Zeiten, wie sie es brauche”. Ebenfalls im Zusammenhang mit dieser Lohmühle, die direkt neben der Birkmühle lag, und zwar mit derer Wiederaufbau nach einem Brand 1505, sind erstmals die “Maister des handwercks der ledergerber” namentlich genannt: Petter Uchter, Michel Kerle, Baltus Gaupp, Theys Edel, Hans Jerg, Urben Herle, Jerg Erhart, Klaus Rollin, Petter Meyer. In der Lohmühle wurde die angelieferte Rinde zerkleinert und an die Gerber ausgegeben. Die Bezahlung des Lohmüllers gehörte zu den Aufgaben der Rotgerberzunft. Die Zunftordnung von 1575 legt in 34 Kapiteln (einige Nachträge aus späterer Zeit wurden am Ende hinzugefügt) sehr genau alle Vorgänge um die Rinden und Häute fest. Sie stellt die wichtigste Quelle für das Biberacher Rotgerberhandwerk dar.

Da es sich um eine überarbeitete Fassung einer älteren Ordnung handelt, kann man davon ausgehen, dass auch eine Rotgerberzunft schon zuvor bestanden hatte. Noch 90 Jahre früher, 1485, gehörten die Gerber zusammen mit den Fischern, Badern und Scherern zur Metzgerzunft, alle diese Handwerke “führten das Messer”, deshalb waren sie in einer Zunft zusammengefasst.

Seit der ersten Nennung von neun Rotgerbern 1505 stieg die Zahl sämtlicher Gerber (Rotgerber und Weißgerber) ständig an. Sie war lediglich zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges rückläufig, um dann wieder konstant zu wachsen. 1710 arbeiteten insgesamt 20 Rot- und Weißgerber in der Stadt. In den folgenden 20 Jahren stieg dann die Zahl der Weißgerber - sie hatten 1716 ihre eigene Zunft gegründet - so sprunghaft an, dass 1734 sogar 25 Mitglieder der Weißgerberzunft per Losentscheid die Stadt verlassen mussten. Ihre Zahl betrug mittlerweile über 40 und das Auskommen des Einzelnen war nicht mehr gesichert. Diese Art der Selbstkontrolle war eine der wichtigsten Aufgaben der Zünfte. Nimmt man an, dass die Zahl der Rotgerber mit 22 etwa gleichgeblieben war, arbeiteten also 1734 in Biberach fast 70 Gerbermeister. Nachdem die reduzierte Zahl 1736 noch 40 Meister betrug (hierbei ist zu beachten, dass Gesellen und Lehrlinge nicht mitgerechnet waren), war auch die Blütezeit des Handwerks zu Ende gegangen: Die Gerberzahlen begannen zu sinken. Trotzdem lag das Handwerk an vorderster Stelle beim städtischen Steuereinkommen - 1698 hatte das Gerberhandwerk die fünfte Stelle eingenommen.

1830 gab es schließlich nur noch neun Gerbermeister in der Stadt, davon zählte einer um die Mitte 19. Jahrhunderts zu den angesehensten und reichsten Bürgern der Stadt. Neue Gerbmethoden (Chromgerbung ab 1880) und die steigende Industrialisierung ließ die Zahl der Gerber weiter zurückgehen. Rund 100 Jahre später, 1928, war die Zahl der Biberacher Gerber auf fünf gesunken: Den Rotgerbermeister Eugen Benz (Waaghausstraße, sein Haus steht heute noch) sowie die Weißgerbermeister Wilhelm Hanni (Ehinger Straße), die Johann Hanni GmbH (Wilhelmstraße), Hermann Kolesch (Gerbergasse) und Julius Kolesch in der Bleicherstraße. Sein Sohn Jürgen Kolesch führt heute, wiederum mit seinem Sohn Achim, die letzte Gerberei der Stadt, die 1723 gegründete Altsämischgerberei Kolesch. In seinem Besitz befindet sich die 1699 erbaute “Weißgerberwalk” an der Ehinger Straße. Sie dient der Familie Kolesch zum Walken der Häute und ist eines der bedeutendsten technik- und kulturgeschichtlichen Denkmäler Deutschlands.

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